Zwangsvernetzung mit Fernwärme in Tübingen – Technologieoffenes, bürgerfreundliches Wärmekonzept gefordert

Bündnis Freie Wärme Tübingen verurteilt nachteilige Zwangsvorgaben bei Nah- und Fernwärme | Ziele: Bürgerinformation und konstruktiver Dialog mit Kommunalpolitik

Fernwärme-Heizwerk Tübingen | Foto: Florian Kern

Tübingen | Foto: iStock/Berrycomm

06.05.2021 – In Tübingen und umliegenden Gemeinden ist der weitläufige Ausbau monopolistisch geprägter Nahwärme mit Anschluss-, Benutzungszwängen und Verbrennungsverboten für die Bürger geplant. Das regionale Bündnis Freie Wärme Tübingen, das sich aus Verbänden, Innungen und Betrieben des Handwerks sowie Energiehandelsunternehmen aus dem Wärmemarkt zusammensetzt, kritisiert im Zusammenhang mit der angelaufenen Bürgerbefragung sehr deutlich die weitestgehend im Stillen und in Unkenntnis der Bürger von Stadtverwaltung und den Stadtwerken vorangetriebenen Vorhaben. „Zentrale Wärmenetze können unter bestimmten technischen Voraussetzungen und mit entsprechend hohen Abnehmerzahlen ein Lösungsansatz für die Energiewende sein, aber sie sind dadurch nicht automatisch ökologischer und ökonomischer als moderne, individuelle Heizungs- und Ofensysteme unter Einbindung erneuerbarer Energien, über die wir auch verfügen. Zudem wären sie für uns ebenso freie Wärme, wenn sie frei wählbar und wirtschaftlich sind“, sagt Benjamin Schaible, Vorstandsmitglied der Kreishandwerkerschaft Tübingen und einer der Sprecher des Bündnisses.

Bürger und Kommunalpolitik informieren | Marktwirtschaftlichen Wettbewerb zulassen

„Wir wollen die Bürger und Kommunalpolitik über all die zu berücksichtigenden Nachteile und Risiken bei der Ausarbeitung eines kommunalen Wärmekonzepts mit momentanem Schwerpunkt Nah- und Fernwärme informieren, und mit der Stadt Tübingen in einen offenen und konstruktiven Dialog treten“, sagt Benjamin Schaible. Einer der zentralen Kritikpunkte des Bündnisses ist, dass über die kommunalen Zwangsvorgaben – etwa durch eine Satzung in einem Wohn- und Baugebiet – der marktwirtschaftliche Wettbewerb komplett ausgehebelt wird und daher nicht stattfindet. In der Regel, um die Umsetzung und Wirtschaftlichkeit des Wärmenetzes überhaupt sicherzustellen.

„Wenn Anschluss-, Benutzungszwänge und Verbrennungsverbote verhängt sind, werden die Bürger um die für sie möglicher Weise optimaleren, oft auch günstigeren und dennoch klimafreundlichen Heizungslösungen gebracht“, so Schaible weiter. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) kritisierte unlängst den Fernwärmemarkt wiederholt sehr scharf als einen „der letzten unregulierten Monopolmärkte in Deutschland“ mit weitestgehend veralteten, nicht verbraucherorientierten Regelungen (Link). Weitere Nachteile der Wärmenetze sind lange Vertragslaufzeiten, selten Alternativen, Kündigungs- und Wechselmöglichkeiten, Kostenabhängigkeit bei nicht selten höheren Belastungen, mangelnde Preistransparenz.

„Als Bündnis Freie Wärme Tübingen fordern wir im Sinne des Gemeinwohls ein marktwirtschaftlich geprägtes, technologieoffenes und bürgerfreundliches Wärmekonzept für die Stadt und Region, im Rahmen dessen die Bürger energieeffiziente Heizungs- und Ofentechnik unter Einbindung erneuerbarer Energien frei wählen können“, betont Schaible. Die entsprechenden Heizungstechniken in Kombination mit regenerativen Energien wie Sonne, CO2-neutralem Holz und selbsterzeugtem Strom existieren längst und sind durch wissenschaftliche Studien hinsichtlich ihrer Effizienz, vielfach geringeren Kosten und CO2-Minderungspotenziale bestätigt.

Weitläufiger Ausbau des Wärmenetzes in der Südstadt und im Umland geplant

Recherchen der Bündnispartner zeigen allerdings, dass der von der Stadt und den Stadtwerken im Rahmen der neuen baden-württembergischen Klimaschutz-Gesetzgebung vorgesehene Wärmeplan weitestgehend die eigenen, wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Das Konzept ist auf die enorme Kosten und Ressourcen bindende Fernwärmeausbaustrategie von 145 GWh/a auf 300 GWh/a ausgerichtet. „Unter dem Vorwand unser Klima verbessern zu wollen, wird mit hohem Risiko und ohne auf Verhältnismäßigkeit bei Kosten und Ressourcen zu schauen nur auf das eigene Pferd im Stall gesetzt, das ohne Wettbewerb und wirtschaftliche Alternativen das gesamte Preisgeld einstreicht, welches natürlich am Ende von den Wärmenetzkunden zu bezahlen ist“, räumt Schaible ein. Bei solchen Investitionen bleibt die Frage nach einer Risikominimierung und Lastenabsicherung für Bürger und Kommune offen.

Momentan werden offenbar die Vorranggebiete für den möglichen Fernwärmeausbau festgelegt. Zusammen mit der Ermittlung des Wärmebedarfs entstehen für diese Gebiete dann auch schon grobe Zeitpläne für die mögliche Erschließung. Zudem will man die bisherigen Einzelausbaustrategien hinsichtlich maximalem Netzausbau und Wärmeerzeugungsanlagen zusammenfassen bzw. teilweise neu konzipieren, um den Anteil der Erneuerbaren deutlich steigern und das Ganze möglichst wirtschaftlich und gewinnbringend nutzbar machen zu können. Parallel zur Identifizierung von Fernwärmevorranggebieten werden die Fördermittellandschaft sowie die Umsetzung einer Satzung zum Anschluss- und Benutzungszwang für Teile der Südstadt geprüft, da hier eine so genannte „Fernwärmeverdichtung“ erfolgen soll.

Nahwärmeprojekte mit Zwangsvorgaben im Umland

Weiterhin sind aktuell folgende Nahwärmeprojekte im Gespräch bzw. geplant, deren mit Nachteilen behaftete Folgen für Anwohner sowie Immobilien suchende Bürger noch recht unbekannt sein dürften:

  • Tübingen-Bühl, Obere Kreuzäcker, Nahwärmeversorgung mit Anschluss- und Benutzungspflicht
  • Tübingen-Derendingen-Ost, Integriertes Quartierskonzept. Das Bündnis empfiehlt hier dringend die gewünschten energetischen Modernisierungsmaßnahmen nicht mit Nahwärme-Zwang zu verwässern und zu konterkarieren
  • Tübingen-Hagelloch, Schaibleshalden, Planung Nahwärmeversorgung mit Anschluss- und Benutzungspflicht
  • Tübingen-Hirschau, Burgäcker, Planung Nahwärmeversorgung mit Anschluss- und Benutzungspflicht
  • Tübingen-Kilchberg, Hinterwiese, Planung Nahwärmeversorgung mit Anschluss- und Benutzungspflicht
  • Tübingen-Lustnau, Queck-Areal, Anschluss- und Benutzungszwang für die Fernwärme der SWT
  • Tübingen-Lustnau, Integriertes Quartierskonzept, Untersuchung des grundsätzlichen Wärmepotentials für Nutzung der Fernwärme, das Bündnis empfiehlt hier dringend die gewünschten energetischen Modernisierungsmaßnahmen nicht mit Nahwärme-Zwang zu verwässern und zu konterkarieren
  • Tübingen-Pfrondorf, Strütle/Weiher, sofern ein Energiekonzept mit Nahwärmeversorgung Bestandteil der Planung ist besteht Anschluss- und Benutzungspflicht
  • Tübingen-Unterjesingen, Jesinger Loch, sofern ein Energiekonzept mit Nahwärmeversorgung Bestandteil der Planung ist besteht Anschluss- und Benutzungspflicht
  • Tübingen-Weilheim, Öläcker, sofern ein Energiekonzept mit Nahwärmeversorgung Bestandteil der Planung ist besteht Anschluss- und Benutzungspflicht